Eine Szene vor rund zwei Millionen Jahren in Äthiopien: Ein Schimpanse klaubt einen auffällig geformten Stein aus dem Sand und betrachtet ihn: Der Fund paßt sich gut der Hand an, ist rundgeschliffen, verjüngt sich auf einer Seite zu einer Art Sporn. Die Form interessiert den Affen. Mit diesem Stein als Werkzeug wird es einfacher sein, Nüsse zu knacken. Er nimmt den Stein mit, wird ihn ausprobieren, mehr hat er nicht im Sinn. Andernorts, vielleicht im Ostafrikanischen Graben, spielt sich eine ähnliche Szene ab: Ein Vertreter des Homo Erectus findet einen solchen Stein, hat das gleiche im Sinn wie der äthiopische Schimpanse – und doch ein wenig mehr: Er fragt sich, ob man mit dem Stein, wenn man den Sporn durch fleißiges Klopfen und Reiben zu einer Spitze schärfte, nicht noch besser Nüsse knacken könnte. Das ist der Unterschied: Beide sind sie neugierig, der Menschenaffe und der Affenmensch – letzterer aber beginnt nachzudenken, er ist der Reflexion fähig. Es ist die Voraussetzung einer mentalen Evolution. Auch der Spieltrieb ist Tier und Mensch gemein. Ein Hund, der nicht gern spielte – wäre er für uns ein richtiger Hund?
Und jetzt ein gewaltiger Sprung in die Neuzeit: Neugier und Spieltrieb haben Tausende von Jahren steter Evolution unbeschadet überstanden, haben das jeweils zeitgemäße Neue hinterfragt und sich zueigen gemacht. Doktor Faustus, der da verzweifelt ringt, …daß ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält – es ist die Neugier, die seinen ruhelosen Geist umtreibt. Sie hat dem Menschen mittlerweile eine unfaßbare Fülle von Erkenntnissen beschert, bis zu dem Punkt, da man verkünden durfte: Nun wissen wir alles. Die Welt ist vollständig enträtselt. Die klassische Newton'sche Mechanik weiß auf alles eine Antwort. So ist die Gravitation, die die Anziehung zwischen Himmelskörpern bewirkt, die gleiche Kraft, die einen Apfel vom Baum fallen läßt. Freilich, ein paar Lücken gilt es noch zu schließen, eine reine Frage der Zeit. Beispielsweise: Ob sich das Licht wie eine Welle oder wie ein Strom von Staubkörnchen durch das All bewegt (1). Oder: Daß die Geschwindigkeit des Lichts unabhängig ist vom Standort des Beobachters – ein eklatanter Widerspruch zum Doppler-Effekt (das Phänomen, daß sich die Tonhöhe eines Martinshorns ändert, je nachdem ob der Wagen auf den Beobachter zukommt oder sich von ihm entfernt) (2). Oder: Während die Planeten auf Ellipsenbahnen um den einen Brennpunkt Sonne ziehen, Jahrtausende ohne (meßbare) Veränderung, vollführt ausgerechnet die Bahn des sonnennächsten Planeten Merkur eine Wanderung um sich selbst, das heißt in etwa 10000 Jahren wird das Muster einer Rosette vollendet (3). Diese Lücken hatten es jedoch in sich. Sie stifteten seit langem Unruhe in den Köpfen der Physiker, aber man kehrte die ungelösten Rätsel unter den Teppich. Dann kam Einstein, ein Angestellter Dritter Klasse im Patentamt von Zürich, und fand mit seiner Speziellen (2) und Allgemeinen (3) Relativitätstheorie Lösungen. Der Dualismus Welle-Teilchen des Lichts (1) fand eine mathematische (Theorie von Klein und Kaluza) und eine quantenmechanische Lösung: Licht ist weder Welle noch Teilchenstrom, sondern eine eigene Identität, die beide Phänomene zuläßt. Die Akzeptanz eines Dualismus dieser Art ist von erheblicher Bedeutung für andere naturphilosophische, ja metaphysische Denkmuster unserer Zeit.
Summarisches Resultat des Umschwungs von Newton zu Einstein: Ratlosigkeit. Wir fragen, ist das Universum unendlich oder nur unbegrenzt? Urknall und Schwarze Löcher sind umgangssprachliche Klischées geworden, ohne einen Funken Verständnis beim Volk. Ist die Existenz des Menschen von Bedeutung oder ein Zufallsprodukt trivialer Wahrscheinlichkeit? Die Weltformel läßt grüßen – aus weiter Ferne. Man tritt auf der Stelle. Es sieht aus wie Zeitvertreib. Dem nüchternen Beobachter fällt auf, daß die Astrophysiker in eine Art von Glasperlenspiel vertieft sind – es heißt String-Theorie. Am Corpus der Gleichung wird alles variiert, was sich nur dehnen und strecken läßt. Bis es wieder mal paßt. Die Begründungen sind so überzeugend wie die Epizyklen des Ptolemais. Der Computer mit immensen Kapazitäten und extrem kurzen Rechenzeiten verlockt zu endlosem Herumprobieren mit numerischen Lösungen. Wo bleibt die neue Mathematik mit vernünftigen analytischen Ansätzen?
Im Verhältnis der beiden Konstituenten des geistigen Abenteuers – Neugier und Spieltrieb – ist es in den letzten Jahrzehnten zu einer auffälligen Verschiebung gekommen. Als Goethes Faust mit den Grenzen der Erkenntnis rang, …daß ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält, war das Spielerische in der Forschung noch gar kein Thema, wiewohl im Tiefgang der Psyche präsent: der homo ludens ist keine Erfindung der Moderne. Aber die Begehrlichkeit nach sachlicher Erkenntnis – nach den schillernden Zeiten der Scholastik, war überwältigend. Die Jahrhunderte nach Galilei waren der Befriedigung der wissenschaftlichen Neugier gewidmet. Um die Wende von 1900 war eine gewisse – trügerische – Sättigung erreicht. In unserer Zeit drängte sich nun der spielerische Aspekt des Daseins immer mehr in den Vordergrund. Es bleibt nicht bei Fußball und Mensch ärgere dich nicht. Die Maloche wird durch immer kürzere Arbeitszeiten ersetzt, der arbeitsfreie Samstag eingeführt – was mit der vielen Freizeit anfangen? Wie es weiterging, ist uns geläufig: Wir sind im Spiel, auf recht unterschiedlichen Niveaus, längst beim Smart-Phone und bei der Manipulation der STRING-Theorie angelangt. Zwischen beiden Exponenten erstreckt sich die erstaunliche Vielfalt der Computer-Spiele. Sie entwickeln sich – quasi evolutionär - mit jedem neuen Schritt der Informationstechnik parallel weiter. Die Cyber-Welt, das vermutlich nächste Plateau, rückt in greifbare Nähe. Die grundsätzliche Ablehnung der Computerspiele weicht einer differenzierteren Betrachtung. Schon plaziert man das Genre als neue Kunstform an die Seite des Films. Neben althergebrachtem Schrott gibt es anspruchsvolle Produkte, die den Intellekt herausfordern, die Teamarbeit fördern, und die Interaktion zwischen Spieler und Spiel enthält kreative, mitschöpferische Elemente. Mit dieser Facette des Zeitgeists muß man sich aussöhnen, sich anpassen, dazulernen, mitmachen, didaktische Lehren daraus ziehen. Wäre es dann nicht möglich, auch die Wissenschaft der Jugend nahezubringen? Als eine attraktive Option?